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Gesellschaft für bedrohte Völker

 

Göttingen, 1.10.1997

Drohende Eskalation der Spannungen im Kosovo wegen
Demonstrationen der albanischen Studenten

Herrn
Bundesinnenminister
Manfred Kanther
Graurheindorfer Str. 198

53117 Bonn

Sehr geehrter Herr Minister,

die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) wendet sich an Sie in großer
Sorge wegen der aktuellen Entwicklung im Kosovo. Wir appellieren
dringend an Sie, angesichts der drohenden Zuspitzung der Spannungen
zwischen Albanern und serbischer Staatsmacht alle Abschiebungen
albanischer Flüchtlinge nach Serbien und in den Kosovo sofort
zu stoppen. Sicherlich haben Sie inzwischen erfahren, daß die albanischen
Studenten in Pristina seit Tagen friedliche Demonstrationen für einen freien
Zugang der albanischen Jugend zu den Bildungseinrichtungen des Kosovo
veranstalten. Die Demonstrationen sollen in den kommenden Tagen auf alle
Städte im Kosovo ausgeweitet werden. Wir befürchten, daß die serbische
Polizei die Proteste gewaltsam niederschlagen und die albanische
Bevölkerung der Region insgesamt mit massiven Verfolgungsmaßnahmen wie in den
achtziger Jahren überziehen wird. Die Polizei hat starke Kräfte zusammengezogen. In den Straßen von Pristina patrouillieren
Panzerfahrzeuge der Polizei und Armee. Die größte Partei der
Kosovo-Albaner, die Demokratische Liga für Kosova (LDK), berichtet,
daß die Telefonleitungen ihrer Büros gekappt wurden. Nach einem Bericht
der serbischen Tageszeitung Blic sollen in den letzten Tagen zehn
Tonnen Tränengas aus dem zentralserbischen Kragujevac in den Kosovo transportiert worden sein.
Wir bitten Sie darum, in dieser gefährlichen Situation vorläufig keine
kosovo-albanischen Flüchtlinge an die serbischen Behörden auszuliefern.

Mit freundlichem Gruß
Inse Geismar i.V. des GfbV-Bundesvorsitzenden Tilman Zülch

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