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Albaner im Kosovo - Apartheid in Europa Im Kosovo (zu Deutsch: Amselfeld), der im Sueden Serbiens an Albanien grenzt, stellen die Albaner mit zwei Millionen Menschen eine Bevoelkerungsmehrheit von 90 Prozent. Nach der Verfassung der Republik Jugoslawien von 1974 war der Kosovo als Autonome Provinz den einzelnen Republiken nahezu gleichgestellt. Doch als der Serbenfuehrer Slobodan Milosevic 1989 zum Praesidenten Serbiens gewaehlt wurde, hob er die Autonomie des Kosovo sofort auf. Serbische Nationalisten betrachten das Amselfeld als heiligen serbischen Boden, denn bei der legendaeren Schlacht auf dem Amselfeld Ende des 14. Jahrhunderts war ein christliches Heer von muslimischen Truppen des Osmanischen Reiches besiegt worden.
Am 28. Juni 1989, zum 600. Jahrestag der Schlacht, propagierte Milosevic auf historischem Boden nahe Prishtina, der Hauptsatdt des Kosovo, vor Hunderttausenden Serben die Schaffung Gross-Serbiens: Serbien wird gross und einig sein - oder es wird gar nicht sein. Die ideologische Grundlage fuer die juengsten Angriffskriege und Voelkermorde auf dem Balkan war gelegt. Seitdem nimmt das Ausmass der Menschenrechtsverletzungen gegen die Albaner im Kosovo staendig zu.
Kollektive Verfolgung Jahr fuer Jahr melden albanische und internationale Menschenrechtsorganisationen Zehntausende Faelle von willkuerlichen Festnahmen, schweren Misshandlungen, Enteignungen und Vertreibungen. Opfer solcher Verbrechen kann jeder Albaner werden. Besonders gefaehrdet sind alle, die sich irgendwie fuer die Rechte ihres Volkes und die Wahrung seiner Identitaet einsetzen: Mitglieder von Parteien und Organisationen, ehemalige jugoslawische Beamte und Offiziere, Journalisten, Kuenstler, Lehrer und Aerzte. Verantwortlich fuer das brutale Vorgehen sind neben serbischer Armee und Polizei auch die Milizen des serbischen Neofaschisten Vojislav Seselj sowie die Kommandos des international gesuchten Kriegsverbrechers Zeljko "Arkan" Raznjatovic. Allein 1994 wurden nach Angaben der albanischen Menschenrechtsorganisation CDHRF (Council for the Defence of Human Rights and Freedom) 17 Albaner erschossen oder zu Tode gefoltert. Im gleichen Zeitraum wurden 2 157 Albaner physisch misshandelt und 2 963 willkuerlich festgenommen. Organisationen wie die Internationale Helsinki-Foederation in Wien, Human Rights Watch oder Amnesty International kommen bei ihren Recherchen zu erschreckenden Ergebnissen. Die UN-Menschenrechtskommission in Genf stellte bereits in einer Resolution vom 23. Februar 1993 fest, dass im Kosovo gegen alle gebuertigen Albaner polizeiliche Gewalt ausgeuebt wird. Albaner werden im Kosovo wegen ihrer Nationalitaet, d. h. kollektiv, verfolgt. Viele deutsche Gerichte, die ueber Asylverfahren von Kosovo-Albanern entscheiden, bestreiten dies jedoch. Nur in Einzelfaellen wird bisweilen Asyl gewaehrt.
Apartheid in Europa Das serbische Parlament verabschiedete 1990 ein Gesetz ueber Arbeitsverhaeltnisse unter besonderen Umstaenden. Daraufhin wurden mindestens 80 Prozent aller albanischen Arbeitnehmer insbesondere grosser Betriebe und oeffentlicher Einrichtungen wie Schulen und Krankenhaeuser entlassen, allein im Schulwesen waren dies seit 1990 26 000 Lehrer und Lehrerinnen. Bisher haben sich die Albaner ausschliesslich mit friedlichen Mitteln zur Wehr gesetzt. Albanische Lehrer schufen ein Bildungssystem im Untergrund, das alle Schultypen und Universitaeten abdeckt. Albanische Aerzte und Hilfswerke betreiben ein behelfsmaessiges Gesundheitswesen. Ausserdem sprachen sich die Albaner bei einem Referendum am 30. September 1991 fuer die Schaffung einer unabhaengigen Republik Kosova aus und waehlten ein Jahr darauf Ibrahim Rugova zu ihrem Praesidenten. Ungehindert arbeiten koennen alle diese Institutionen nicht. So werden beispielsweise Lehrer und Professoren und auch die Schueler des parallelen Bildungssystems systematisch terrorisiert. Mindestens fuenf Schueler wurden auch auf dem Weg zum Unterricht abgefangen und getoetet. Die Exilregierung wird international nicht anerkannt. Albaner werden nur noch in schlecht bezahlten und unqualifizierten Berufen geduldet, waehrend alle qualifizierten und gutbezahlten Stellen an Serben gehen. Rund 60 000 albanische Familien, etwa 20 Prozent der Bevoelkerung, koennen ohne die finanzielle Unterstuetzung von Angehoerigen, die im Ausland leben, oder von Hilfsorganisationen nicht mehr ueberleben. Waehrend in Suedafrika die Apartheid-Politik endete, entstand gleichzeitig im Kosovo eine neue, europaeische Variante der Apartheid.
Serbische Kolonisierung Slobodan Milosevic will offensichtlich die Albaner aus dem Kosovo vertreiben. Allein 1994 wurden 3 553 albanische Haeuser durchsucht und mehr als 600 Familien ihrer Wohnungen beraubt. Die Immobilienseiten serbischer Massenmedien priesen gleichzeitig Miet- oder Kaufobjekte im Kosovo an. Bis 1998 soll ein spezielles Finanzierungsprogramm dort kostenlose Grundstuecke und Wohnungen, langfristige Kredite und sichere Arbeitsplaetze fuer Serben bereitstellen. Hunderttausende serbische Fluechtlinge aus Kroatien und Bosnien sollen in den Kosovo umgesiedelt werden. Der UNO-Hochkommissar fuer Fluechtlinge hat fuer dieses Projekt sogar Geldmittel bewilligt.
Die Forderungen der Albaner Auf die internationalen Proteste und Appelle antwortet Praesident Milosevic regelmaessig, dass Serbien der Staat aller seiner Buerger sei. Dagegen stellte Kosovos Praesident Rugova schon 1993 fest: Serbien uebt seinen Terror und seine Repressalien in allen Bereichen und gegen jede soziale Klasse des albanischen Volkes im Kosovo aus, seien es Intellektuelle, Kuenstler, Politiker, gewoehnliche Buerger, Schueler, Studenten usw. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen fordern die Albaner im Kosovo das Recht auf Selbstbestimmung.
Ein Anschluss an das verarmte Nachbarland Albanien scheint heute nur wenigen sinnvoll. Da sie aber auch keine Aussicht auf eine Wiederherstellung ihrer Autonomie innerhalb Serbiens haben, bestehen sie auf einer unabhaengigen Republik Kosova. Praesident Rugova hat vorgeschlagen, sein Land fuer eine Uebergangszeit unter internationalen Schutz zu stellen, eventuell in Form eines UN-Protektorates. Seine Regierung verbuergt sich ausdruecklich fuer das Heimatrecht der Serben im Kosovo. Schon jetzt haelt sie im Untergrund-Parlament der Republik Kosova 14 Sitze fuer die einheimische serbische Bevoelkerung reserviert.
Albaner wurden vom Westen im Stich gelassen Die europaeischen Staaten haben gegen die Verbrechen Belgrads im Kosovo nur halbherzig protestiert. Keine von ihnen hat die Republik Kosovo anerkannt. Zwar haben westliche Regierungen, darunter US-Praesident Clinton und Bundesaussenminister Kinkel, Praesident Rugova inoffiziell empfangen und wiederholt versichert, dass die Kosovo-Frage nur im Rahmen eines gerechten Friedens fuer ganz Ex-Jugoslawien zu loesen sei. Doch bei der Bosnien-Konferenz im amerikanischen Dayton, die am 14. Dezember 1995 mit der Unterzeichnung des Dayton-Vertrages endete, waren die Albaner nicht vertreten. Stattdessen wurde Serbenfuehrer Milosevic fuer seinen Friedenswillen belohnt, als auch die Bundesregierung im Fruehjahr 1996 die Republik Jugoslawien (Serbien-Montenegro) anerkannte. Die Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo wurde dabei nicht zur Voraussetzung gemacht, es bleibt also offiziell eine Provinz Serbiens. Schon vor der Anerkennung Serbien-Montenegros hatte die Bundesregierung ein Ruecknahmeabkommen fuer alle Fluechtlinge Restjugoslawiens, damit auch fuer die Albaner, geschlossen. Dass diese im Kosovo kollektiv verfolgt werden, ist offenbar nicht von Belang. Bisher ist die Regierung Rugova bei der Politik des Gewaltverzichts geblieben. Doch es ist fraglich, wie lange sich die Albaner angesichts ihrer unmenschlichen Lebensbedingungen noch beschwichtigen lassen. Bujar Bukoshi, der Ministerpraesident der Republik Kosova, sagte im September 1995 vor dem Parlament der Niederlande: Die Albaner sind fest entschlossen, ihre Ansprueche auf friedliche Weise zu realisieren, doch wenn der Konflikt ihnen als einzige Option aufgezwungen wird, darf es keinen Zweifel darueber geben, dass sie sich mit derselben Entschlossenheit verteidigen werden. Die Gesellschaft fuer bedrohte Voelker (GfbV) fordert deshalb von der deutschen Bundesregierung, zur Vermeidung eines Krieges im Kosovo beizutragen und Wirtschaftshilfe fuer Serbien davon abhaengig zu machen, dass die Menschenrechte und die Autonomie der Albaner im Kosovo wiederhergestellt werden. Die Belgrader Regierung muss dem Kosovo Selbstverwaltung zugestehen und freie Wahlen unter internationaler Kontrolle zulassen. Bis auf weiteres muss in Deutschland die kollektive Verfolgung der Albaner durch den serbischen Staat als Asylgrund anerkannt werden. Albanische Fluechtlinge aus dem Kosovo duerfen nicht in den Apartheid-Staat Serbien abgeschoben werden.
Quelle: Dokumentationsmaterial der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, Osteuropa-Referentin Felicitas Rohder; ueberarbeitete Fassung vom Mai 1996
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